Kolumne - Mal anders
Sie sind liebe Freunde von mir und schaffen es immer wieder, mich mit ihrer Art zu leben, auf neue Gedanken zu bringen. Nennen wir sie Horst und Hermine. Horst und Hermine, beide um die sechzig, können auf ein erfülltes berufliches und privates Leben zurückschauen und sind in ihrem Bereich noch immer erfolgreich tätig. Warum ich Ihnen am Beginn eines neuen Jahres von Horst und Hermine, die beide nie auf einem Bauernhof gelebt haben, erzähle? Nun, Horst und Hermine haben seit vielen Jahren ein ganz persönliches Ritual, mit dem sie die Zeit um den Jahreswechsel verbringen. Nein, kein ausgelassenes Fest und auch kein Spieleabend. Die beiden nehmen sich Zeit füreinander. Zeit, um miteinander Rückschau zu halten auf das letzte Jahr. Um das wertzuschätzen, was gut gelaufen ist, im Beruf, in der Familie und in ihrer Partnerschaft. Aber auch, um das anzusprechen, was schwer war und wo man einander und vielleicht auch ganz ohne böse Absicht verletzt hat. In den Stunden bevor ein neues gemeinsames Jahr für sie beginnt, wird ausgesprochen was sie noch nachtragen und beschäftigt. Dabei geht es nicht um gegenseitige Vorwürfe, sondern darum, selbst gehört zu werden und den Anderen zuzuhören. Und es geht darum, Belastendes loszulassen und gemeinsam aus dem Erlebten zu lernen, um es im kommenden Jahr besser zu machen und es miteinander gut zu haben
Genau das ist der Punkt, der in vielen bäuerlichen Familien zu kurz kommt und warum ich Ihnen heute von Horst und Hermine erzähle. Auf vielen Höfen werden zwischenmenschliche Altlasten von einem Jahr auf das andere mitgeschleppt. Man hat nie gelernt dem Anderen wirklich zuzuhören und traut sich selbst nicht auszusprechen, was einen beschäftigt. Traut sich auch nicht, anders zu denken und tun und eine neue Kultur des Miteinander zu gestalten. Der alten Trampelpfad, sich in Arbeit, Alkohol oder gesellschaftliche Ablenkungen zu flüchten, ist verlockend weil wohlvertraut. Leider ist auch das Resultat wohlvertraut: verhärtete Fronten und unglückliche Menschen.
Vielleicht braucht es ein wenig Mut, sich an der Geschichte ein Bespiel zu nehmen und die eingefahrenen Pfade zu verlassen. Aber erst dadurch kann es anders werden.
Diplomlebensberaterin und Supervisorin, Krisenpräventions- und -beratungsteam
LK Niederösterreich
Referat 6.2 Konsumenteninformation, Lebensqualität Bauernhof
Tel. 0664/60 259 25801