Kolumne - Leider kein Märchen
Es war einmal ein Landwirt, dem, so meinte er, das Leben grad besonders böse mitspielte. Seine Frau hatte ihm gesagt, dass sie sich von ihm trennen wollte. Und das, obwohl er doch einer der fleißigsten in der Umgebung war und gemeinsam mit ihr in den letzten Jahrzehnten einen recht repräsentablen Betrieb aufgebaut hatte. Auch die Leistung der Kinder konnte sich sehen lassen. Ihr fehlte es doch wirklich an nichts, wie konnte sie da unzufrieden sein? Er verstand die Welt nicht mehr und wünschte sich nur, dass alles wieder wäre wie früher und seine Frau aufhören würde, seine heile Welt in Gefahr zu bringen.
Als er nicht mehr ein noch aus wusste, suchte er Rat und klagte sein Leid. Stolz erzählte er vom Betrieb und den Kindern. In beides hatte er viel investiert, beides hatte sich zu seiner Zufriedenheit entwickelt. Fragen zur Beziehung mit seiner Frau wich er aus. Ja, er hätte gern mehr Zeit für die Partnerschaft gehabt, aber was sollte er machen? Der Betrieb forderte einfach viel Kraft und Zeit. Hie und da mal ein freier Sonntagnachmittag, damit konnte sie doch zufrieden sein, oder? Und über die Tatsache, dass er im angetrunkenen Zustand immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen neigte, konnte man ja wohl hinweg sehen, denn schließlich hatte sie ihn durch ihr Verhalten dazu provoziert.
Was wie ein böses Märchen klingt, ist 2021 leider Realität und bei weitem kein Einzelfall. Derartigen Situationen gehen oft jahrelange Leidensgeschichten voraus, in denen unzählige Appelle und Bitten um Verhaltensänderung im Nichts verhallen. Irgendwann aber, bringt ein Tropfen das Fass zum Überlaufen und Frauen erinnern sich wieder ihres Selbstwertes. Dann ist es für sie Zeit, sich aufzurichten und ihr Leben in die Hand zu nehmen. Und für ihn ist die Zeit gekommen, die Auswirkungen seines Tuns zu realisieren und zu akzeptieren.
Diplomlebensberaterin und Supervisorin, Krisenpräventions- und -beratungsteam
LK Niederösterreich
Referat 6.2 Konsumenteninformation, Lebensqualität Bauernhof
Tel. 0664/60 259 25801